Ein Gastbeitrag von Katharina D.
Im Buchclub haben wir unlängst ein Buch besprochen, das sich – ganz grob gesagt – mit den Auswirkungen des Fernsehens auf die Gesellschaft beschäftigt. Ein Zitat daraus lautet:
«[…] denn in Amerika hat jeder das Recht auf eine eigene Meinung, und es ist gewiss nützlich, sich die eine oder andere zurechtzulegen, falls ein Meinungsforscher auftaucht. Allerdings sind dies Meinungen von ganz anderem Rang als die des 18. und 19. Jahrhunderts. Nicht Meinungen sollte man sie nennen, sondern Gefühlsregungen, womit auch erklärt wäre, dass sie sich, wie uns die Meinungsforscher mitteilen, von Woche zu Woche verändern. Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von ‘Informiertsein’ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als Desinformation bezeichnen sollte…»
Nun ist das Buch in den 1980er Jahren geschrieben, weshalb in dem Zitat auch das inzwischen fast bedeutungslos gewordene Fernsehen erwähnt wird. Allerdings kann man hier problemlos Fernsehen durch Soziale Medien und Amerika durch Deutschland bzw. Europa ersetzen und schon hat man ein Zitat, das aktueller nicht sein könnte. Durch unsere allgegenwärtige Vernetzung scheint es wichtiger denn je, eine eigene Meinung zu haben. Zu absolut allem. Auch zu komplizierten medizinischen Themen, dem neuesten politischen Schachzug irgendeiner Regierung oder religiösen Fragestellungen, die eigentlich nur von den jeweiligen Experten beantwortet werden können. Vor einigen Tagen habe ich im Gespräch mit einem Kollegen die Frage erörtert, warum man eigentlich die Nachrichten verfolgen sollte. Seine Antwort darauf: Um sich eine eigene Meinung zu bilden. Doch wie genau geht dies von statten? Wie bewerkstellige ich das?
Generell gibt es das Medium Nachrichten schon sehr lange. Allerdings hat sich in unserer heutigen Zeit die Geschwindigkeit, mit der sie sich verbreiten, vervielfacht. Nachrichten von Problemen oder Krisen werden heute nicht mehr gelesen und besprochen, sondern «geteilt». Und zwar durch Bilder und kurze Catchphrases [übers. Schlagwörter], die meist einen emotionalen Unterton haben, was zu dem von Postman beschrieben Phänomen führt: Wir bilden keine Meinung, sondern eine Emotion. Und diese Emotion verpufft genauso schnell wieder, wie sie sich gebildet hat. Denn schon die nächste in eine Emotion verwandelte Nachricht ist durch die Kanäle der sozialen Medien auf dem Weg zu uns. Nun will ich nicht behaupten, dass der Mensch früher schlauer war als heutzutage. Aber Meinung sollte gleichgesetzt sein mit Wissen und Reflektion, nicht mit Emotion. Vor dem Zeitalter der sozialen Medien und des Fernsehens mussten Nachrichten in schriftlicher Form aufgenommen werden. Dies setzte zum einen eine gewisse Vorbildung voraus, zum anderen auch eine bestimmte Anstrengung und möglicherweise anschließende Reflektion. Auch die Menge an Nachrichten, die man in geschriebener Form konsumieren kann, ist alleine schon aus zeitlichen Gründen begrenzt. Heutzutage hingegen müssen wir nur Bilder anschauen, die direkt an unsere emotionale Seite appellieren, Reflektion kann so nicht mehr stattfinden. Und fertig ist eine vorgefertigte, oberflächliche Meinungsmache, die durch die sozialen Medien in Lichtgeschwindigkeit um die Welt rast. Genau wie Postman es beschreibt, führt dies nicht etwa dazu, dass man informiert ist, sondern zum genauen Gegenteil. Denn um eine Meinung zu haben, bedarf es der Auseinandersetzung mit einem Thema, nicht nur dem Teilen eines Bildes auf Instagram.
Wie kann ich es also in der heutigen emotional aufgeladenen Zeit bewerkstelligen, mir eine eigene Meinung zu bilden? Um diese Frage für mich selbst zu beantworten, bin ich noch einmal die Aufzeichnungen aus dem ersten Modul «Islamische Bildungsphilosophie» durchgegangen. Dort haben wir das Buch «Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften» von al-Ghazali besprochen. Al-Ghazali behandelt hier ausführlich die Frage, welches Wissen für den Menschen lobenswert und welches tadelnswert ist. Einer der Gründe, warum Wissen als tadelnswert eingestuft werden kann, ist, wenn es dem Menschen Schaden zufügt. Entwickele ich diese Aussage zusammen mit dem oben genannten Zitat von Postman weiter, komme ich zu dem Schluss, dass mir das Wissen um Nachrichten aus aller Welt durchaus Schaden zufügen kann. Denn welchen Einfluss haben diese Nachrichten auf mich? Sie hinterlassen eine Ohnmacht um alles Leid, das auf der Welt passiert. Nicht zuletzt durch die Art und Weise, wie sie kommuniziert werden: durch Bilder und Schlagzeilen, die direkt an meine emotionale Seite appellieren. Diesen emotionalen Appellen kann ich aber nichts entgegensetzen, da es nicht in meiner Macht steht, das Leid zu lindern, sondern mich zum handlungsunfähigen Zuschauer verdammt. Der Schaden, den ich möglicherweise davontrage, ist also ein seelischer. Im schlimmsten Falle kann er zu Zweifeln an meinem Glauben führen. Ich muss also für mich eine Art und Weise entwickeln, mich von diesen emotionalen Appellen zu distanzieren.
Dies soll nun kein Plädoyer für das Nichtverfolgen von Nachrichten sein. Sondern vielmehr, sich die Frage zu stellen, ob man tatsächlich alle Nachrichtenhappen, die durch die sozialen Medien geistern, verfolgen muss oder eine Meinung dazu haben muss. Oder ob es auch die Möglichkeit gibt, zu einem Thema keine Meinung zu haben. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die sich ständig wechselnden Katastrophenmeldungen nur aus einer humanistischen Sicht betrachten kann. Ich bedauere, dass soviel Unrecht geschieht. Aber dadurch, dass ich diese Meldungen konsumiere und ggf. auch weiterteile, trage ich nicht zu einer Lösung bei. Wenn ich also zu einem bestimmten Thema fundierte Informationen haben möchte, da es einen direkten Einfluss auf mein Handeln oder die Gesellschaft um mich herum hat, muss ich Zeit investieren und Quellen heranziehen, die detaillierter sind und mich vor allem bemühen, das Problem nicht einseitig zu beleuchten. Habe ich dann die Möglichkeit, einen konstruktiven Beitrag zu leisten wie zum Beispiel ein aktives Engagement in der Flüchtlingshilfe o.ä., so tue ich das. Alles andere muss ich als tadelnswertes Wissen einstufen, denn so viel Meinungsmache verträgt meine Seele nicht.