«Tanke deinen Iman auf!» Ein Slogan, den man seit Jahren hört. Über Metaphern und Beispiele sollte man eigentlich nicht diskutieren, aber ich behaupte, dass in diesem Falle eine kritische Auseinandersetzung nötig ist. Was sagt es über unser religiöses Verständnis aus, wenn wir Iman zu einem Rohstoff machen? Und welche Grundlagen werden dadurch gelegt?
Reflektieren wir mal kurz über diese Metapher. Wenn wir das Verb tanken verwenden, denken wir an einen Treibstoff, der für das Auto verwendet wird und an der Tankstelle erhältlich ist. Wir tanken nur dann, wenn die Kraftstoffanzeige sich im roten Bereich befindet. Bei den heutigen Benzinpreisen wartet man wahrscheinlich sogar so lange, bis die rote Lampe vom Reservetank aufleuchtet. Wenn man das Auto unregelmäßig verwendet, dann ist das Tanken auch etwas sporadisches. Selbst wenn man regelmäßig Auto fährt, kann man immer nur ungefähr abschätzen, wann man wieder tanken muss. Kurzgesagt, je nachdem ob eine Notwendigkeit besteht, werde ich tanken. Die Tankstelle besucht man also nur, wenn man muss. Würde keine Notwendigkeit bestehen, wäre sie einer der letzten Orte, die man freiwillig aufsucht.
Vor diesem Hintergrund klingt die Metapher in dem Slogan «Tanke deinen Iman auf!» bizarr. Iman wird zu einem Kraftstoff, den wir nur zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten aufsuchen. Ramadan wird zu einer Tankstelle. Vorträge werden zu einer Tankstelle. Der Koran wird zu einer Tankstelle. Wir suchen sie nur auf, wenn die sporadische Notwendigkeit aufkommt. Außerdem vermittelt es den Gedanken, dass bestimmte Menschen (vor allem Prediger) die Quelle dieses besonderen Kraftstoffes sind. Die Beschäftigung mit der Religion wird zu einem Tauschgeschäft, ein Nachfrage-Angebot-Verhältnis. Sobald wir der Religion einen marktwirtschaftlichen Umhang überstülpen, unterwerfen wir unseren religiösen Diskurs den kapitalistischen Spielregeln und Sprache. Wir bringen uns in die Situation, in der wir unsere Tankstelle ansprechender vermarkten müssen. Das erklärt den Trend von islamischen Großveranstaltungen.
Große Hallen werden gemietet und eine Crème de la Crème von bekannten Predigern zusammengestellt, zwischen denen sich am besten noch ein international renommierter Redner befindet. Stände mit Halal-Essen, Büchern und Kalligrafie schmücken das Ambiente und der Iman-Tank ist wieder im grünen Bereich. Die Frage ist nur wie lange?
Ich kritisiere nicht die Organisatoren und Besucher solcher Events. Veranstalter und ehrenamtliche Hilfskräfte haben eine gute Absicht und investieren viel Zeit und Geld, um den Muslimen etwas Nützliches zu geben. Diese Großevents haben auch vielen Muslimen geholfen, sich wieder mit der Religion zu befassen. Doch die Erfahrung zeigt, dass diese Strategie, d. h. die Religion zu einem Event zu machen, genauso wie Benzin nicht nachhaltig ist.
Events können zwar einen kurzfristigen Effekt haben, doch wenn man genau hinschaut, baut sie auf einer kapitalistischen Weltanschauung und dem Show-Business auf. Darum ist es kein Zufall, dass dieser Trend in den USA angefangen hat. Wenn es darum geht, Produkte an den Mann zu bringen, sind die Amerikaner nicht zu übertreffen. Sie sind in der Lage, alles zu einem Verkaufsgut zu machen. Selbst die Religion bleibt hier nicht verschont.
Seit Jahren gibt es jährliche islamische «Conventions», die mit kinoreifen Trailern beworben werden, in denen man sieht, wie ein bekannter Redner nach dem anderen eine feurige emotionale Rede hält. Schnelle Bildwechsel mit packender Musik. Gänsehaut-Feeling garantiert. Hier werden Prediger zu Superstars, die man aufsucht für ein gemeinsames Foto. Dabei ist das nichts Neues, weil die Muslime dem Vorbild der christlichen Gemeinden in den USA folgen, die bereits Jahrzehnte früher begannen, die Religion Show-Business reif zu machen.[1]Ein Musterbeispiel hierfür ist die RIS Convention. In all ihren Werbevideos sieht man die oben erwähnten Muster, wie im folgenden Ausschnitt: «Spirit of RIS 2018».
Der Medienwissenschaftler Neil Postman hat diese Thematik in seinem Buch «Wie vergnügen uns zu Tode» ausführlich behandelt und gezeigt, wie sich die religiöse Botschaft durch die Medien verändert. Mit Medium meint er zwar explizit das Fernsehen, doch im Kern geht es um die Art und Weise sowie den Kontext, in dem Inhalte kommuniziert werden. Er zeigt, wie das Fernsehen den Diskurs verändert und kommt zur folgenden Beobachtung:
«Den meisten Amerikanern, auch den Predigern, fällt es, falls sie je darüber nachdenken, schwer zu akzeptieren, dass man nicht jede Diskursform aus einem Medium in ein anderes übertragen kann. Es ist naiv, anzunehmen, dass man etwas, das in einem bestimmten Medium zum Ausdruck gebracht wurde, in einem anderen ausdrücken kann, ohne seine Bedeutung, seine Struktur und seinen Wert erheblich zu verändern. (…)
Wenn die Vermittlung nicht die gleiche ist, dann ist höchstwahrscheinlich auch die Botschaft nicht die gleiche. Und wenn der Kontext, in dem die Botschaft aufgenommen wird, sich von dem, wie er zu Lebzeit Jesus war, ganz und gar unterscheidet, dann darf man unwohl vermuten, dass auch seine soziale und psychologische Bedeutung eine ganz andere ist.» [2]Neil Postman: Wir Vergnügen uns zu Tode, S. 145-146
Wenn wir also heutzutage «Iman tanken», dann offenbart es etwas von der Art und Weise, wie wir die Botschaft, also die Religion verstehen. Iman ist nicht mehr, wie es der Koran beschreibt, ein Licht der Gewissheit im Herzen, das durch den Körper strahlt und zu gottgefälligem Handeln bewegt, sondern eine Ware, die man konsumiert.
Man könnte einwenden und sagen, dass es um die Vermittlung von religiösem Wissen geht und nicht um eine Ware. Postman würde so einen Einwand als naiv bezeichnen. Denn man erkennt den gewaltigen Einfluss des Show-Business auf die Bildung, der mit dem Aufkommen vom Fernsehen begann.
«Der wesentliche Beitrag des Fernsehens zur Bildungstheorie besteht in dem Gedanken, dass Unterricht und Unterhaltung untrennbar miteinander verbunden sind.» [3]Neil Postman: Wir Vergnügen uns zu Tode, S. 179
Bildung, egal ob religiös oder weltlich, ist den Spielregeln der Unterhaltungsindustrie unterworfen. Das erklärt warum Kurzvideos über islamische Inhalte fast immer mit emotionaler Musik untermalt werden. Musik hat keinen inhaltlichen Mehrwert. Klänge im Hintergrund, egal ob durch Musikinstrumente oder Gesang (Nasheed) erzeugt, haben die Aufgabe, die Emotionen und nicht den Verstand anzusprechen. Wenn es wirklich um den Inhalt gehen würde, dann könnte man auch auf die Musik verzichten. Wann hat man das letzte Mal eine Vorlesung besucht, in der Musik immer Hintergrund lief? Menschen, die Bildung ernst nehmen, wissen, dass der Wissenserwerb nicht durch Kurzvideos und Infotainment geschieht und geschehen kann.
«[Bildungstheoretiker] haben darauf hingewiesen, dass Lernen in einer bestimmten Abfolge von Schritten erfolgen muss, dass Ausdauer und ein gewisses Maß an Schweißarbeit unerlässlich sind, dass man persönliches Vergnügen häufig hinter den Interessen des Zusammenhalts der Gruppe zurückstehen muss und dass den jungen Menschen Kritikfähigkeit und die Fähigkeit zu logischem, strengem Denken nicht in den Schoß fallen, sondern erarbeitet werden müssen.» [4]ebd.
Wenn wir «Iman tanken» gehen, denken wir nicht an Schweißarbeit, logisches und stringentes Denken. Wir erhoffen uns ein kinoreifes Erlebnis oder Wellnessgefühl, wenn wir die Iman-Tankstellen aufsuchen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Tankstelle ein Ort, an dem eine feurige Predigt gehalten wird, eine Zeit wie Ramadan, oder ein Buch wie der Koran ist. Wenn wir Iman zu einem Kraftstoff machen, den wir tanken, haben wir die Religion unbewusst zu einer Ware erklärt, die konsumiert wird.
Quellen
↑1 | Ein Musterbeispiel hierfür ist die RIS Convention. In all ihren Werbevideos sieht man die oben erwähnten Muster, wie im folgenden Ausschnitt: «Spirit of RIS 2018». |
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↑2 | Neil Postman: Wir Vergnügen uns zu Tode, S. 145-146 |
↑3 | Neil Postman: Wir Vergnügen uns zu Tode, S. 179 |
↑4 | ebd. |